«Unternehmen sollten beim Thema Naturgefahren proaktiv vorgehen»

Unter dem Einfluss des Klimawandels werden extreme Wetterereignisse häufiger und intensiver. Bereits in den letzten Jahrzehnten sind die durch Naturkatastrophen verursachten Verluste rasant gestiegen und stellen Unternehmen und Versicherer vor neue Herausforderungen. Technologische Fortschritte, insbesondere im Bereich der Klimamodelle und Rückversicherungen, haben jedoch neue Möglichkeiten geschaffen, diesen Risiken zu begegnen.

Autorin: Annemarie Büttner
Quelle: KMU-Portal  ; Bildquelle: Adobe Stock

2024 machten die Überschwemmungen im Rhônetal und im Maggiatal, die ersten Schätzungen zufolge Kosten von CHF 200 Millionen verursachten, wieder einmal deutlich, dass auch die Schweiz von Naturkatastrophen betroffen ist. Laut den Szenarien des Weltklimarats IPCC werden Extremwetterphänomene wie Hitzewellen und Gewitterstürme immer häufiger und bewirken immer schwerere und teurere Schäden. Durch die Fortschritte in der Datenanalyse und die Nutzung von Klimaszenarien können Unternehmen heute präziser denn je ihre individuellen Risiken bewerten lassen. Diese Entwicklungen ermöglichen eine proaktive Risikoeinschätzung, um sich auf zukünftige Bedrohungen vorzubereiten. Versicherungen spielen dabei eine zentrale Rolle – sowohl bei der Risikoanalyse als auch bei der finanziellen Absicherung. Im Gespräch mit Annemarie Büttner, Lead Climate Risk Solutions bei Swiss Re, erfahren wir mehr darüber, welche Prognosen bestehen, wie sich die Versicherungsmodelle entwickelt haben und welche Lösungen es im Umgang mit Klimarisiken für Unternehmen gibt.

In welchem Ausmass haben die Ausgaben im Zusammenhang mit Naturkatastrophen in den letzten Jahren zugenommen?
Annemarie Büttner: Weltweit haben wir seit Mitte der 2010er Jahre einen Aufwärtstrend bei den durch Naturkatastrophen bedingten Verlusten in Höhe von 5% bis 7% pro Jahr festgestellt. In unserem Land erwärmt sich das Klima doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt und ist schon bei plus 2,6°C im Vergleich zum vorindustriellen Klima gestiegen. Die Schweiz gehört zu den zehn Ländern, die europaweit am stärksten durch Naturgefahren wie Überschwemmungen, Winterstürme oder heftige Gewitter gefährdet sind.
Darüber hinaus beobachten wir eine Verschlimmerung der Hitzewellen, Dürren und Waldbrände mit sehr konkreten Folgen für die Sicherheit von Sachwerten. Zum Beispiel führten die intensiven Regenfälle des Sturms “Bernd” (Anm. d. Red.: der insbesondere in Zürich erhebliche materielle Schäden verursachte) zu Sturzfluten, und mehrere Flüsse und Seen erreichten kritische Stände, auch in der Stadt.

Wie passen sich die Versicherungsmodelle an diese Entwicklung an?
Heute basiert die Modellierung von Naturkatastrophen und ihren Folgen nicht mehr allein auf historischen Daten. Wir haben eine Plattform – Risk Data and Services (RDS) – entwickelt, auf der die Unternehmen die Koordinaten ihrer Standorte eingeben können, um eine Bewertung der aktuellen und künftigen Risiken auf Basis der wissenschaftlichen Daten des IPCC zu erhalten. Mit Hilfe dieser Analyse können anhand verschiedener Klimaszenarien die Verluste zahlenmässig eingeschätzt werden die unter den klimatischen Bedingungen von 2030 oder 2050 erwartet werden können.

Bereiten sich die Unternehmen ausreichend auf diese Veränderungen vor?
Wir ermutigen die Unternehmen, beim Thema Naturgefahren proaktiv vorzugehen. Viele haben diesen Weg bereits eingeschlagen, indem sie Massnahmen ergreifen, um ihre Resilienz gegenüber Naturgefahren zu verbessern. Dies kann über einen Risikotransfer – also eine klassische Versicherung – erfolgen oder über physischen Schutz, etwa indem Waren höher gelagert werden, um sie vor Überschwemmungen zu schützen. Neben datenbasierten Analysen führen unsere Risikoingenieur:innen auch Standortbegehungen durch und empfehlen massgeschneiderte Strategien zur Risikominderung. Dazu gehören beispielsweise Frühwarnsysteme, Hochwasserschutzanlagen, Wärmedämmung oder Küstenschutz, die Unternehmen dabei unterstützen, sich proaktiv an die sich wandelnden klimatischen Bedingungen anzupassen.

Trotz dieser Fortschritte sehen wir, dass die zunehmende Intensität und Häufigkeit von Naturkatastrophen langfristig auch finanzielle Auswirkungen haben wird. Versicherungsprämien dürften sich künftig der wachsenden Intensität und Häufigkeit von Naturereignissen anpassen – sie werden in vielen Regionen steigen. Wichtig ist es für Firmen regelmässig zu überprüfen, ob die Selbstbeteiligung und die Deckungslimiten ihren Bedürfnissen und ihren finanziellen Kapazitäten entsprechen. Verlängerte Laufzeiten von Policen sind auch eine Möglichkeit sich feste Prämien zu sichern.

Welche Rolle spielen staatliche Massnahmen im Risikomanagement?
Bund und Kantone investieren viel Geld in bauliche Errichtungen zur Reduzierung von Schäden durch Naturgefahren. Als Beispiel dienen hier die Hochwasserschutzmassnahmen im Reusstal (Kanton Uri) oder auch im Rohnetal im Wallis. Dort hat sich das Risiko für Schäden durch Überschwemmung wegen den Verbauungen in den letzten 20 Jahren merklich reduziert. Das gleiche gilt für Lawinenverbauungen oder Schutzmassnahmen gegen Steinschlag etc. Die Gefahrenkarten werden ausserdem bei baulichen Veränderungen durch die Kantone regelmässig angepasst und spiegeln sich in unseren Naturgefahrenmodellen wieder.

Über Annemarie Büttner
Annemarie Büttner hat an der Technischen Universität München Umweltingenieurwesen studiert und sich in ihrer weiteren Laufbahn auf die Modellierung von Naturkatastrophen spezialisiert. Bevor sie 2022 zu Swiss Re kam, arbeitete sie als Analystin bei der Zurich Insurance und in der Zürcher Beratungsfirma CelsiusPro. Derzeit ist Annemarie Büttner bei Swiss Re Corporate Solutions für Lösungen im Umgang mit Klimarisiken zuständig.

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