Von der Idee zum Produkt: Einblicke in die Welt der Lebensmitteltechnologie
Heike Steiling ist Vice President Research and Development sowie Head of Nestlé Science & Technology Strategy and Innovation Partnerships. Sie kam 2003 nach ihrem Doktorat an der ETH Zürich zu Nestlé und leitet seither verschiedene Forschungszentren in Asien und Europa. Im Interview gibt sie uns Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte sowie ihre Arbeit in einem internationalen Umfeld und erklärt, was sie an der Lebensmittelindustrie so fasziniert.
Wie sind Sie zu Ihrer aktuellen Position bei Nestlé gekommen?
Nach meinem Doktorat in der Zellbiologie an der ETH bin ich vor gut 20 Jahren zu Nestlé gekommen, wo ich in unterschiedlichen Forschungsprojekten gearbeitet habe. Bei einem Nahrungsmittelkonzern ist es natürlich immer wichtig, auch einen guten Einblick in die Entwicklungsprozesse von neuen Produkten zu haben, um zu verstehen, welches die verschiedenen Schritte von der ersten Idee bis hin zur Vermarktung sind. Ich hatte 2011 die Möglichkeit, nach Malaysia zu gehen und dort diese Prozesse von der Produktentwicklung bis hin zur Vermarktung zu erleben. Während meiner Auslandsaufenthalte war es natürlich auch immer sehr spannend zu sehen, wie solche Prozesse in anderen Ländern im Vergleich zur Schweiz ablaufen. Bei meinem Job in Indien durfte ich zum Beispiel das regionale Forschungszentrum leiten. Dabei habe ich vor allem gelernt, dass es wichtig ist, immer ein klares Ziel vor Augen zu haben, dieses dann mit dem Team Schritt für Schritt umzusetzen und natürlich auch klare Prioritäten festzulegen, die dann mit zeitnahen Entscheidungen umgesetzt werden.
Bis Ende letzten Jahres war ich für die globale Produkt- und Technologieentwicklung für das Sortiment der Milchprodukte zuständig. Das sind bei uns beispielsweise Joghurts, spezialisierte Milchgetränke in Pulver- oder in flüssiger Form, Schokoladengetränke wie Nesquik oder Milo oder aber auch pflanzenbasierte Getränke. In dieser Position war ich verantwortlich für zirka 300 Angestellte mit Sitz in verschiedenen Ländern, zum Beispiel in der Schweiz, in Frankreich, in Singapur oder auch in der Elfenbeinküste. Seit Januar bin ich nun für die globale Technologiestrategie und die externen Innovationspartnerschaften verantwortlich.
So war ich bisher immer zwischen Positionen im operativen Geschäft und im Research- und Development-Bereich tätig.
Können Sie uns einen Einblick in Ihre täglichen Aufgaben geben?
Jeder Tag ist bei mir anders, was mir total gefällt. Zum einen habe ich Besprechungen über Strategiefragen, das heisst, welche Produkte und welche Segmente wir ausbauen oder erschliessen wollen und welche Rolle die Forschung und die Entwicklung dazu beitragen können und müssen. Zum anderen sind es natürlich auch Besprechungen zu laufenden Projekten und deren aktuellem Status. Jedes Projekt ist ein bisschen anders, und so gibt es mal Herausforderungen bei den Rezepturen oder wenn neue Maschinen angeschafft werden oder auch regulatorische Fragen, die es je nach Land zu beantworten gilt. Jedes Projekt hat seine eigenen Schwerpunkte, und genau das macht es auch spannend. Am meisten Spass macht mir als «Foodie» natürlich die Degustation von Neu- und Weiterentwicklungen. Es ist immer toll zu sehen, wie aus einer neuen Produktidee auf einer PowerPoint-Folie nach vielen Besprechungen ein tatsächliches Produkt entsteht.
Welche aktuellen Forschungsprojekte oder Projekte beschäftigen Sie derzeit?
Neben der Forschung an neuen Technologien, zum Beispiel der Präzisionsfermentation von Eiweissmolekülen oder von pflanzenbasierten Getränken, beschäftigt uns derzeit im Bereich der Agrarwissenschaften, welche wissenschaftlichen und technischen Lösungen es gibt, die den CO2-Fussabdruck von Kuhmilch reduzieren könnten. Ausserdem gibt es einige spannende Projekte, bei denen untersucht wird, wie die Kuhmilch selber nährstoffreicher gemacht werden könnte. Wir haben kürzlich in China eine Milch, die sogenannte N3 Milch, auf den Markt gebracht, bei der wir den Milchzucker, also die Laktose, umgewandelt haben in präbiotische Fasern, die dann wiederum gut für das Mikrobiom sind. Wir haben also in dieser Milch zum einen weniger Laktose – was gut ist, da in dieser Region viele Konsument:innen eine Laktoseintoleranz haben. Zum anderen haben wir dadurch, dass der Milchzucker in Fasern umgewandelt wird, weniger Zucker in der Milch, und zusätzlich schaffen die Fasern diesen präbiotischen Effekt, der gut für das Mikrobiom ist. Somit haben wir nicht nur einen besseren Nährwert, sondern auch einen funktionellen Vorteil. Dabei ist vor allem auch spannend, dass wir der Milch nicht etwa etwas dazugeben, sondern dass diese Transformation in der Milch selber stattfindet, sodass alle Vorteile der Kuhmilch wie die Eiweisse, das Calcium oder die B-Vitamine erhalten bleiben und auch geschmacklich kein Unterschied feststellbar ist.
Dieses Projekt ist ausserdem auch ein schönes Beispiel dafür, wie wir als Netzwerk arbeiten: Angefangen hatte die Idee bei den Teams in Lausanne und Singapur, welche sich mit Biotransformation, also enzymatischen Reaktionen, beschäftigen. Dann hatte diese Idee das Team hier in Konolfingen aufgegriffen und sich Gedanken über die Umsetzung und die Prozesse in der Fabrik gemacht. Zusätzlich war natürlich das R&D-Team in Beijing mit dabei, um das Produkt den lokalen Bedürfnissen anzupassen. Darüber hinaus war auch Nestlé Research in Lausanne mitbeteiligt und konnte in einer klinischen Studie zeigen, dass diese «N3 Milch» auch wirklich einen Effekt auf unser Mikrobiom hat.
Wie wichtig ist Teamwork bei der Entwicklung neuer Produkte?
Teamwork ist sehr wichtig, denn wir sind wie im Beispiel des Segments der Milchprodukte global tätig. Im Moment haben wir beispielsweise sehr viele Aktivitäten mit den Philippinen, mit Brasilien und China. Solche internationalen Projekte sind sehr spannend, weil sie immer auch einen Einblick in ein anderes Land geben. Ein neues Produkt muss zu dem Land passen, wo es vermarktet wird. Der Startpunkt ist folglich der Konsument oder die Konsumentin. Wir müssen deshalb zuerst verstehen, was er oder sie will. Dafür arbeiten wir natürlich auch sehr stark mit unseren kommerziellen Kolleg:innen aus dem Marketing und dem Vertrieb zusammen, die für die Marken zuständig sind. Denn je nach Land müssen wir wissen, wie ein Produkt benutzt und wie die Marke wahrgenommen wird. Dafür müssen wir dann entsprechend die richtige Rezeptur entwickeln. Es kann zum Beispiel sein, dass es darauf ankommt, wie viele Nahrungsfasern im Produkt sind oder wie süss es sein soll. Wir müssen es also schaffen, einerseits etwas zu entwickeln, was der Konsument oder die Konsumentin mag, andererseits muss es aber auch zu der Marke und ihrer Wahrnehmung passen. So eine Arbeit ist nur mit einem crossfunktionalen Team und Teamarbeit möglich. Das ist sehr bereichernd, denn so kommen wir neben dem internationalen Aspekt immer auch in Kontakt mit Menschen mit unterschiedlichen Skills und Ausbildungen und lernen über die Sichtweisen des Marketings, der Technologie oder des Vertriebs.
Was fasziniert Sie an der Lebensmitteltechnologie, und was würden Sie zukünftigen Lebensmitteltechnolog:innen mit auf den Weg geben?
Ich finde die Lebensmitteltechnologie ein super spannendes und vielfältiges Feld. Einerseits müssen wir es schaffen, Lebensmittel zu entwickeln, die gut schmecken, die gesund sind und die sich der Konsument und die Konsumentin auch leisten können. Andererseits gibt es aber auch mehr und mehr regulatorische Fragen, die wir in Betracht ziehen müssen. Wenn man also Interesse daran hat, knifflige und komplizierte Sachverhalte anzugehen, technisch gerne tüftelt und eine Begeisterung fürs Essen, für gute Ernährung und neue Küchen mitbringt, dann ist die Lebensmitteltechnologie genau das Richtige.
Ausserdem wird der Lebensmittelsektor in Zukunft viel Aufmerksamkeit brauchen, weil die Bevölkerung wächst und wir deshalb herausfinden müssen, wie wir mit den vorhandenen Gegebenheiten mehr Menschen ernähren können. Für solche Lösungen braucht es eine ganze Menge wissenschaftliches und technologisches Know-how und vor allen Dingen aber auch junge Leute, die viele neue Ideen und Impulse mitbringen.
Interview: Lena Frölich, Projektmitarbeiterin IngCH
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