«Das Spannende und Schöne am Bauingenieurberuf ist, dass man ihn sozusagen anschauen kann»

Wie kann das schweizerische Eisenbahnnetz bedarfsgerecht ausgebaut werden und gleichzeitig ökonomisch vertretbar sein? Mit dieser Frage beschäftigt sich Reto von Salis, Leiter Netzentwicklung bei der SBB und Vorstandsmitglied bei IngCH. Wie er zu dieser Funktion kam, weshalb ihn das Lösen von Zielkonflikten begeistert und welche Interessen angehende Bauingenieurinnen und Bauingenieure haben sollten, lesen Sie im Interview mit IngCH.

Reto von Salis, möchten Sie zuallererst etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Das mache ich sehr gerne. Während meiner Zeit im Gymnasium überlegte ich mir, wo mein Berufsweg hingehen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit dem Bauingenieurwesen noch nichts zu tun. Meine Eltern waren beide Lehrpersonen, mein Vater war Physiklehrer. Physik hatte mich immer sehr interessiert, war mir aber zu theoretisch. Ich wollte nichts machen, das in der Theorie hängen bleibt. Damals war ich generell fasziniert davon, wie Bauwerke entstehen. So kam für mich der Ingenieurberuf ins Spiel, und mein Interesse am Bauingenieurwesen wurde geweckt.

Ich studierte Bauingenieurwesen an der ETH Zürich. Während meiner ersten Arbeitsstelle führte ich klassische Ingenieurarbeiten aus, wie zum Beispiel Häuser konstruieren oder Strassen planen. Nach fünf Jahren durfte ich die Projekt- und Bauleitung für eine Eisenbahnbrücke übernehmen. Spannend war dabei, nicht nur Ingenieur zu sein, sondern auch auf der Bauherrenseite das Projekt zu leiten. Ich wechselte im Jahr 2000 zur SBB und war zuerst als Projektleiter für Infrastrukturprojekte tätig. Nachdem ich vor allem für Bahnhofumbauten, Streckenumbauten und Brückensanierungen verantwortlich gewesen war, erhielt ich bald einen Auftrag als Projektmanager für ein Projekt im Rahmen von Bahn 2000. Die Grösse dieses Projekts faszinierte mich. Nach einiger Zeit übernahm ich eine Teamleitung und konnte mich Schritt für Schritt bis 2014 zum Leiter Projektmanagement im Infrastrukturbereich der Region Mitte weiterentwickeln. Die Frage, weshalb es eigentlich solche Infrastrukturprojekte braucht, liess mir keine Ruhe, sodass ich anschliessend in den Bereich Netzentwicklung wechselte. Seit 2017 bin ich für die Netzentwicklung der gesamten Schweiz verantwortlich.

Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?

Am meisten Spass macht mir das stetige Lösen von Zielkonflikten. Meistens gibt es einen Wunsch, der unbezahlbar ist. Den Wunsch muss man eingrenzen, damit er erfüllt werden kann. Konkret heisst das: Wenn man ein neues Eisenbahnangebot fahren möchte, braucht es eine Infrastruktur, und diese muss bezahlbar sein. Das ist der erste Zielkonflikt. Der zweite ist technischer Natur. Es gibt viele Möglichkeiten, wie die Infrastruktur ausgebaut werden kann. Die Flughöhe am Anfang eines Wunsches ist sehr hoch – man hat nur eine grobe Idee davon, wie man den Wunsch erfüllen wird. Mit der Zeit wird die Umsetzung aber immer konkreter, und am Schluss, und das ist eben das Spannende und Tolle daran, wird der Wunsch erfüllt: Es gibt eine Baustelle, aus welcher ein Endprodukt entsteht, das für die Eisenbahnkunden einen Mehrwert schafft. Ich glaube, das ist generell das Spannende am Ingenieurwesen.

Wenn Sie sich nochmals für einen Beruf entscheiden müssten, würden Sie wieder denselben Weg wählen?

Diese Frage habe ich mir auch schon einige Male gestellt. Die Antwort ist: Ja, natürlich, ich würde es wieder machen! Wenn ich nochmals an diesem Punkt wäre, hätte ich dieselbe Entscheidung getroffen und mich auch entschlossen, Führungsverantwortung wahrzunehmen. Ich denke, dass ein Ingenieurrucksack eine sehr gute Basis ist, um sich in Führungsaufgaben weiterzuentwickeln.

Angenommen, eine Person möchte in Ihre Fussstapfen treten und auch Bauingenieurin oder Bauingenieur werden. Welche Eigenschaften und Interessen sollte diese Person grundsätzlich mitbringen?

Das ist meiner Meinung nach bei allen Berufen gleich: Man sollte sehr daran interessiert und motiviert dafür sein. Ich sage nicht, dass man in der Mathematik oder den Naturwissenschaften der absolute Profi sein muss. Ein gewisses Grundverständnis in den Naturwissenschaften hilft aber, damit man die Zusammenhänge verstehen kann. Man sollte aber vor allem daran interessiert sein, Probleme technischer Natur zu lösen. Die ersten paar Jahre, egal, wo später der berufliche Weg hinführt, wird man nämlich damit beschäftigt sein.

Wenn Sie Schülerinnen und Schülern einen Tipp mit auf den Weg geben müssten, wenn diese vor der Wahl stehen, sich für den Bauingenieurberuf zu entscheiden, welcher wäre das?

Ich würde ihnen empfehlen, ein Infrastrukturprojekt zu besichtigen und mit eigenen Augen zu sehen, wie zum Beispiel ein Haus gebaut wird. Zu sehen, dass es dafür Planung braucht, dass dabei sehr viele interessante Sachen passieren und verschiedene Varianten entstehen. Das Spannende und Schöne am Bauingenieurberuf ist, dass man ihn sozusagen anschauen kann, indem man die Projekte besichtigt und sieht, wie etwas entsteht. Und man sieht auf diese Weise auch, dass Bauingenieurinnen und Bauingenieure eine grosse Verantwortung tragen. Sie erstellen sozusagen die Ikea-Anleitung für alle am Bau beteiligten Personen und sind verantwortlich, dass alle Elemente des Bauwerks zusammenpassen, gebrauchsfähig und sicher sind. Aber auch dafür, dass die Kundinnen und Kunden rechtzeitig das Bauwerk zu den vereinbarten Kosten erhalten und daran Freude haben.

Die SBB engagiert sich schon seit einiger Zeit bei IngCH für die Nachwuchsförderung. Was sind die Beweggründe für dieses Engagement?

Einerseits besteht ein Eigeninteresse, dass sich junge Ingenieurinnen und Ingenieure und auch Leute aus anderen Berufsgattungen bei der Stellensuche für die SBB interessieren. Der Arbeitsmarkt ist besonders in den Ingenieurberufen, aber auch im IT-Wesen ausgetrocknet. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die jungen Talente der SBB sehr viel beisteuern. Das Engagement ist eine Investition in unseren Pool an Arbeitskräften, auch im Bewusstsein, dass es nicht immer funktioniert, denn es gibt auch noch viele andere interessante Arbeitgeber und Berufsrichtungen. Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass sich unsere Trainee-Programme, Hochschulpraktika und die IngCH-Mitgliedschaft mehr als ausbezahlen, wenn auch nur wenige Fachkräfte dadurch rekrutiert werden. So sind es zumindest mehr als ohne diese Aktivitäten.

Stellt sich bei der SBB die Suche nach neuen Mitarbeitenden als Herausforderung dar? Gerade auch im technischen Bereich?

Ja. Es ist grundsätzlich so, dass viele Stellen ein Profil mit drei bis fünf Jahren Berufserfahrung möchten. Es ist schwierig, die Berufsleute an diesem Punkt zu motivieren, die Stelle zu wechseln. Auch mit den Hochschulabsolventinnen und -absolventen ist es nicht so einfach. Wir haben aber auch viele Stellen ausgeschrieben, mit Corona etwas weniger. Grundsätzlich suchen wir jedoch immer neue Arbeitskräfte, da wir in einem wachsenden Markt sind. Gerade bei den Ingenieurberufen ist es schon schwierig. Teilweise benötigen wir sechs bis zwölf Monate, bis die Stelle besetzt werden kann. Viele wissen auch nicht, dass die SBB Ingenieurinnen und Ingenieure suchen.

 

Interview: Nathalie Künzli, Projektleiterin IngCH

 

 

 

 

 

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